Akuter Schlaganfall: Mit künstlicher Intelligenz schneller zur Diagnose
Um bleibende Schäden nach einem Schlaganfall zu verhindern, muss vor allem schnell gehandelt werden. Wie intelligente Algorithmen die Interpretation zerebrovaskulärer Bildgebung unterstützen und die Diagnosestellung beschleunigen können, lesen Sie hier.
Beim Schlaganfall gilt: Je schneller die richtige Diagnose gestellt und die entsprechende Therapie eingeleitet wird, desto besser ist die Prognose für den Schlaganfallpatienten.1 Algorithmen zur computergestützten Bildanalyse (CAD, computer aided diagnosis) werden schon seit den 1980er-Jahren verwendet.2 In Kombination mit künstlicher, selbst lernender Intelligenz können sie ein enormes Potenzial entfalten.
Was kann KI schon heute?
Algorithmen, die auf künstlicher Intelligenz (KI) und „Machine Learning“ (ML) basieren, sind mittlerweile immer zuverlässiger in der Lage, Hirnscans richtig zu interpretieren und Schlaganfallpatienten zu identifizieren. Sie können helfen, Auffälligkeiten schneller und effizienter aufzufinden.2, 3
In den folgenden Bereichen kann KI die Diagnosestellung bei einem akuten Schlaganfall unterstützen:2, 3
- Identifikation/Quantifizierung des betroffenen Hirnbereichs
- Unterscheidung zwischen ischämischem und hämorrhagischem Schlaganfall
- Identifikation/Quantifizierung des ischämischen Kernbereichs, der Penumbra und des Kollateralflusses
- Lokalisierung von großen Gefäßverschlüssen (large vessel occlusion; LVO)
- Identifikation/Quantifizierung von intrazerebralen Blutungen
- Entscheidungsunterstützung/digitale Zweitmeinung für den Arzt
- automatisiertes Befüllen von radiologischen Befundvorlagen
- Smartphone-Alarm des Facharztes bei Identifikation einer verdächtigen Anomalie
KI-Unterstützung kann in vielen Bereichen der zerebrovaskuläre Bildgebung hilfreich sein, unter anderem bei der Computertomografie (CT), der CT-Angiographie (CTA), der Magnetresonanztomographie (MRT) und bei der Perfusionsbildgebung.
Wie gut sind KI-Algorithmen?
Damit die intelligenten Algorithmen zuverlässig funktionieren, müssen sie mit ausreichend Bildmaterial – zum Beispiel CT-Hirnscans – und den richtigen Interpretationen „gefüttert“ werden.
Zurzeit gibt es zwei Studien zur Genauigkeit von KI-Algorithmen:2
Die Arbeitsgruppe um Barreira nutzte in der sogenannten ALADIN-Studie bei 875 Patienten die kommerzielle KI-basierte Software Viz LVO (Viz.ai, San Francisco, USA). 46 % der Patienten hatten einen großen Gefäßverschluss (LVO). Die Forscher glichen die Ergebnisse mit einem expertenbasierten Referenzwert ab. Sie wiesen eine Genauigkeit von 86 %, eine Sensitivität von 90,1 % und eine Spezifität von 82,5 % für die Software nach. Die Analysen dauerten jeweils unter fünf Minuten.2
Seker und Kollegen dagegen verwendeten den ML-Algorithmus von Brainomix und untersuchten 144 Patienten mit akutem Schlaganfall, von denen 73 eine LVO mit Thrombektomie hatten. Verglichen mit dem Referenzwert erreichte der Algorithmus eine Genauigkeit von 90 %, eine Sensitivität von 91 % und eine Spezifität von 90 %. Die durchschnittliche Dauer für jede Analyse lag unter einer Minute. Die Leistung war vergleichbar mit der von zwei unabhängigen Neuroradiologen.2
Nadelöhr: CE-Zertifizierung für Medizinprodukte
Intelligente Algorithmen, die bei der Diagnosestellung unterstützen, sind als Medizinprodukte einzustufen. Für den europäischen Markt ist eine CE-Kennzeichnung Pflicht.4 Unter anderem haben die Software e-ASPECTS® von Brainomix Ltd. (Oxford, UK), RAPID ASPECTS® von iSchemaView (Menlo Park, USA), Icobrain von icometrix (Leuven, Belgien) und Zebra Al1 von Zebra Medical Vision (Kibbutz Shefayim, Israel) diese Hürde bereits genommen.2, 3 Weitere Produkte befinden sich in der Warteschleife bei den Zertifizierungsstellen. Hier scheint es nach aktuellen Medienberichten jedoch Engpässe bei der Bearbeitung zu geben.5
Was sind die Vor- und Nachteile?
Die Vorteile der neuen KI-Algorithmen zur automatisierten Analyse zerebrovaskulärer Bildgebung liegen auf der Hand: Durch die Software kann es zu einer Standardisierung und Beschleunigung der Diagnosestellung von Schlaganfallpatienten kommen.2 Zudem kann die KI-gestützte Absicherung von Behandlungsentscheidungen zu einem schnelleren Behandlungsbeginn von akuten Schlaganfallpatienten führen. Ein Nachteil kann darin liegen, dass sich Ärzte zu sehr auf die Software verlassen und selbst weniger wachsam bei der Interpretation der erhobenen Bilddaten sind.2 Denn eines ist klar: Bei den Algorithmen handelt es sich nur um künstliche Intelligenz, die neben korrekten Interpretationen sowohl falsch positive als auch falsch negative Ergebnisse liefern kann.
Quellen:
- Deutsche Schlaganfallgesellschaft. Presseinformation: Lächeln, Sprechen, Arme hoch: Schlaganfall schnell erkennen und rasch handeln. (Oktober 2019). Online verfügbar unter: https://www.dsg-info.de/presse/pressemeldungen/526-laecheln-sprechen-arme-hoch-schlaganfall-schnell-erkennen-und-rasch-handeln-dsg-kampf-gegen-den-schlaganfall-aufklaerung-der-bevoelkerung-ist-schluesselelement.html (abgerufen am 04.12.2019).
- Mokli Y, Pfaff J, dos Santos DP et al. Computer-aided imaging analysis in acute ischemic stroke – background and clinical applications. Neurological Research and Practice 2019; 1: 23. https://doi.org/10.1186/s42466-019-0028-y
- Gebhardt G. Künstliche Intelligenz. Radiologie Magazin. (2019) online verfügbar unter: https://radiologiemagazin.de/epaper-RM_2-2019/index.html#0 (abgerufen am 04.12.2019).
- Europäische Union. Verordnung (EU) 2017/745 für Medizinprodukte. April 2017. online verfügbar unter: https://www.ce-zeichen.de/templates/ce-zei/richtlinien/med-2017-745.pdf (abgerufen am 04.12.2019).
- Wolf S. Künstliche Intelligenz: Warum neue Medizin-Technik nicht zugelassen wird. ARD – Plusminus. November 2019. Online verfügbar unter: https://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/zulassungsprobleme-medizinprodukten-100.html (abgerufen am 04.12.2019).
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