Smartwatch mit EKG-Funktion – sinnvoll oder nicht?
Die Uhrzeit ist bei ihnen Nebensache: Smartwatches sind Minicomputer im Armbanduhrdesign, ausgestattet mit diversen Sensoren und Funktionen. Manche haben sogar eine EKG-Funktion und können Herzrhythmusstörungen aufzeichnen. Wie gut dies funktioniert, haben wir hier zusammengefasst.
Smartwatches mit Elektrokardiogramm(EKG)-Funktion gibt es von mehreren Anbietern. Das wohl bekannteste Produkt dieser Art ist zurzeit noch die Apple Watch Series 4.1 Aber auch die ScanWatch von Withings bietet diesen Service.2 Beide Modelle tragen die CE-Kennzeichnung für den europäischen Markt. Besonders für Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) können sie einen Mehrwert bieten.1
Herzfunktion – smart überwacht
Die Aufzeichnung des EKGs per Smartwatch entspricht einem 1-Kanal-EKG. Um die EKG-Funktion zu nutzen, trägt der Anwender die Uhr am Handgelenk und berührt mit einem beliebigen Finger der anderen Hand einen Sensor an der Uhr (vergleichbar mit der Ableitung I des Einthoven-Dreiecks). Der Messvorgang wird am besten in Ruhe durchgeführt und dauert circa 30 Sekunden.1 Die EKG-App der Apple Watch 4 bewertet den gemessenen Herzrhythmus als „Sinusrhythmus“, „Vorhofflimmern“, „Niedrige oder hohe Herzfrequenz“ oder „Uneindeutig“.3 Das aufgenommene EKG kann von der App im PDF-Format gespeichert werden. Bei einer Herzfrequenz von unter 50 oder über 120 Schlägen pro Minute kann die EKG-App nicht prüfen, ob ein VHF vorliegt.1
Neue Studien erprobten auch die Ableitung eines 3-Kanal-EKGs über die Apple Watch 4. Die Ableitungen II und III erfolgten über die Positionierung der Uhr auf dem linken Unterbauch und dem Berühren des Sensors mit dem rechten (II) beziehungsweise dem linken (III) Zeigefinger.4
Eine weitere mögliche Smartwatch-Funktion ist die Pulsüberwachung mittels einer Photoplethysmographie (PPG). Diese kann permanent über eine Infrarotlichtquelle und einen entsprechenden Sensor erfolgen und den Träger der Uhr mit einer Alarmfunktion auf mögliche Pulsunregelmäßigkeiten aufmerksam machen.
Wie verlässlich sind die Messergebnisse?
Die Smartwatches mit EKG-Funktion liefern allem Anschein nach glaubwürdige Ergebnisse.1, 4 Die Apple Watch 4 wurde in einer von Apple gesponserten Multicenterstudie mit 70 VHF- und 70 Sinusrhythmus(SR)-Patienten getestet. Es zeigte sich, dass die EKG-App bei 98,4 % der VHF- und bei 100 % der SR-Patienten äquivalente Ergebnisse zu einem 1-Kanal-EKG lieferte. 0,8 % der Messungen wurden aufgrund von Artefakten ausgeschlossen.1 In einem zweiten Teil der Studie mit 602 Teilnehmern wurde die Sensitivität und Spezifität des EKG-App-Algorithmus untersucht. Im Vergleich zu einem 12-Kanal-EKG zeigte die App eine Sensitivität von 95,5 % (95-%-Konfidenzintervall [KI]: 92,2–97,8) und eine Spezifität von 97,1 % (95-%-KI: 94,2–98,8).1
In einer Teilstudie der Leipzig Apple Heart Rhythm Study mit insgesamt 100 gesunden Teilnehmern wurden 300 3-Kanal-EKGs, aufgenommen mit der Apple Watch 4, mit entsprechenden Standard-EKG-Messungen verglichen. In dieser Studie konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Messmethoden in Bezug auf Dauer, Amplitude und Polarität der EKG-Ableitungen festgestellt werden.4
Die HEARTLINE-Studie, die speziell auf die frühe Detektion von VHF ausgerichtet ist, läuft derzeit noch.1
Vor- und Nachteile der smarten Herzüberwachung
- Alle Beteiligten müssen wissen, dass ein Herzinfarkt oder nicht klassifizierbare Herzrhythmen – zum Beispiel aufgrund eines AV-Blocks zweiten oder dritten Grades, ektoper Erregungszentren oder eines Bigeminus – NICHT durch den Algorithmus erkannt werden können.1
- Falsch positive Messungen können beim Träger der Uhr Ängste erzeugen. Dies ist ein nicht zu unterschätzendes Risiko der permanenten Überwachung der Herzfunktion durch Laien.1
- Studien, die die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Uhren testen wollen, haben mit hohen Abbrecherquoten zu kämpfen.1 Die permanente Überwachung wird von vielen Nutzern als aufdringlich empfunden.1 Auch Bedenken zum Datenschutz spielen hier eine Rolle.
- Eine Chance der smarten Herzüberwachung liegt vor allem in der frühen Diagnosestellung von VHF-Episoden. Hat der Träger den Verdacht, dass etwas nicht stimmt, kann er direkt ein EKG aufnehmen und dies später mit einem Arzt besprechen.1
- Auch bietet so eine Uhr viele Vorteile bei der Überwachung von Hochrisikopatienten – zum Beispiel nach einer Katheterablation oder Kardioversion.1
- Für Betroffene, die nur unter gelegentlichem Vorhofflimmern leiden („Pill in the Pocket“-Konzept), kann eine Smartwatch mit EKG-Funktion eine sinnvolle Unterstützung sein.1
- Ein weiterer entscheidender Vorteil besteht darin, dass die Träger Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen.1
Quellen:
- Isakadze N, Martin SS. How useful is the smartwatch ECG? Trends Cardiovasc Med 2020; 30: 442-448. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31706789/ (abgerufen am 11.03.2021).
- Jurann N. Withings neue Hybrid-Smartwatch erkennt Vorhofflimmern und Schlafapnoe. heise online (Januar 2020). Online verfügbar unter: https://www.heise.de/newsticker/meldung/Withings-neue-Hybrid-Smartwatch-erkennt-Vorhofflimmern-und-Schlafapnoe-4627355.html (abgerufen am 11.03.2021).
- Apple Support. Mit der EKG-App auf der Apple Watch Series 4 oder neuer ein EKG aufzeichnen (2020). Online verfügbar unter: https://support.apple.com/de-de/HT208955 (abgerufen am 11.03.2021).
- Behzadi A, Sepehri Shamloo A, Mouratis K et al. Feasibility and Reliability of SmartWatch to Obtain 3-Lead Electrocardiogram Recordings. Sensors (Basel) 2020; 20: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7571061/ (abgerufen am 11.03.2021).
Bildquelle: AdobeStock #47921978; Urheber: pogonici